7.
Seit Dobe mit der guten Nachricht aufgetaucht war, ging es Sharleen besser denn je. Nicht nur, weil sie keine öffentliche Bloßstellung mehr befürchten mußte, sondern weil sie endlich von ihren Schuldgefühlen befreit worden war. Ich bin keine Sünderin, Dean ist kein Mörder!
Zwar war Daddy nicht tot, doch es tat gut zu wissen, daß er hinter Schloß und Riegel saß. So hatten der Ruhm und das Rampenlicht, dem sie ausgesetzt war, am Ende doch etwas Gutes gehabt.
Besonders glücklich war Sharleen, weil sie und Dean nun offen zusammenbleiben konnten. Sie durften sich lieben wie bisher.
Allerdings mußte man sich an so eine unglaublich gute Nachricht erst gewöhnen. Sharleen schlug Dean vor zu heiraten. Er war sofort damit einverstanden.
Sie beschlossen ihre Hochzeit bei einem Gespräch im dunklen Garten. Tagsüber konnten sie das Haus ja nicht verlassen. An diesem Abend erfüllte Sharleen eine so tiefe, überwältigende Liebe, daß sie ihr fast die Luft zum Atmen nahm. Dean mochte alles andere als vollkommen sein. Gewiß suchten die meisten Frauen bei einem Mann mehr, als Dean zu bieten hatte. Doch sie liebte ihn. Sie wollte keinen anderen. Seine Herzensgüte, Offenheit und Reinheit zählten für sie mehr als alles auf der Welt. Er war ihr Anker und ihr Kompaß und war immer der Motor gewesen, der sie aus gefährlichem Fahrwasser steuerte.
Am Tag der Emmy-Verleihung wachte Sharleen erleichtert auf. Ihre Geburtsurkunden lagen der Presse vor. Natürlich hatte das wieder einen Riesenwirbel entfacht. Und der Abend der Verleihung drohte noch einmal eine üble Heimsuchung zu werden. Doch Dobe bestand darauf, daß sie mit Dean hinging.
Sharleen hatte versucht, Dobe davon zu überzeugen, daß das alles für sie zu einem Spießrutenlauf werden würde.
»Weißt du, Dobe, ich möchte nur in Ruhe auf dem Land leben, auf einer Ranch mit Pferden für Dean und einem Rudel Hunde und vielen Bäumen und Feldern, Seen und Hügeln. Möglichst viele Kinder sollten herumlaufen. Nicht unbedingt meine. Irgendwelche, die sonst kein Zuhause haben. Aber niemand sonst. Ich wünsche mir, daß du ganz in der Nähe bist. Aber ich will keine Luxusgeschäfte mehr sehen oder ausgefallene Partys besuchen oder Zeitschriften mit Klatschgeschichten lesen. Ich sehne mich nur nach Frieden und Ruhe für Dean und mich. Und ich möchte nie wieder ein Abendkleid tragen müssen.« Sie schwieg einen Moment. »Verstehst du etwas von Square Dance, Dobe? «
»Nein. Ich war nie lang genug an einem Ort, um das zu lernen.«
»Ich möchte es schon seit Jahren lernen. Wenn Dean und ich auf dem Land wohnen, könnten wir Square Dance lernen und uns echt amüsieren. Vielleicht können wir uns das bald leisten.« Weiter ging sie auf das Thema nicht ein, weil sie vermeiden wollte, daß Dobe Gewissensbisse wegen des Geldes bekam, das sie ihm für den Landkauf gegeben hatte.
Daran schien Dobe sich auch gar nicht mehr zu erinnern. »Das alles ist möglich, Sharleen. Schneller als du meinst. Jetzt machst du dich für die Geschichte heute abend hübsch und benimmst dich so, als gehöre dir die Welt. Um es in dieser Stadt zu etwas zu bringen, muß man so tun, als seien einem alle Menschen völlig wurscht. Soviel habe ich schon gelernt. Du wirst sehen, Sie liegen dir zu Füßen.«
Sharleen glaubte Dobe. Hatte er nicht immer recht behalten? »Trotzdem werde ich mir irgendwie fehl am Platze vorkommen.«
»Nun, mein Kind, wenn ich ehrlich sein soll, du hast nie vor eine Fernsehkamera gehört. Doch abgesehen davon bist du das süßeste, hübscheste Mädchen von Amerika, und du kannst überall hingehen, den Kopf hoch erhoben. Die meisten Frauen würden liebend gern mit dir tauschen. Trotz der Publicity — oder gerade deswegen. Und das beweist dir nur, wie krank im Kopf sie alle sind. Das ist nicht das wahre Leben, Sharleen. Täusch dich da nicht. Hier dreht sich die Erde andersherum und schneller als sonst wo. Hier altert eine Frau in zwei oder drei Jahren, während es normalerweise zwei oder drei Jahrzehnte dauert. Die ganze Stadt ist aus den Fugen geraten. Das wissen nur wir beide. Alle anderen glauben, es sei das Paradies auf Erden. Nicht eine dieser Hollywoodweiber kann dir das Wasser reichen. Soviel ist sicher. Vielleicht noch Jahne Moore. Die scheint Rückgrat zu haben. Sonst keine.«
Er hatte sie aufgerichtet. »Du bist ein wunderbarer Mann, Dobe. Du hast nur das Beste im Leben verdient.« Sie umarmte ihn innig. Auch wenn er ihr ein bißchen Geld abgeschwatzt hatte, war er ein guter Freund, der ihr seine Treue bewiesen hatte.
Jahne wachte am Morgen der Emmy-Verleihung gerädert und nervös auf. Sie hatte am Abend zuvor zwei Beruhigungstabletten genommen. Doch eine Wirkung verspürte sie nicht. Sie wählte Sharleens Privatnummer.
Sharleen wirkte ausgeglichen und zufrieden. »Gehst du hin?« fragte Jahne.
»Ja, mit Dean und Dobe. Und du, Jahne? Komm mit uns. Du hast doch nichts Verwerfliches getan.«
»Ich weiß nicht. Mit wem sollte ich schon gehen? Sy wollte mir jemanden schicken. Doch das will ich nicht. Auch La Brecque hat sich angeboten. Stell dir vor, daß es schon so weit mit mir gekommen ist, daß ich in Begleitung eines bezahlten Leibwächters auf eine Party gehen muß.«
»Wie gesagt, schließ dich uns an. Dobe ist ein guter Freund. Wir sollten Lila nicht den ganzen Rahm abschöpfen lassen.« »Vielleicht rufe ich dich später noch einmal an.«
Nach dem Gespräch ging Jahne ruhelos auf und ab. Sie fröstelte. Das Haus war kalt — wie immer.
Sollte sie sich diesen Mörderhaien aussetzen? Konnte sie es sich leisten, der Veranstaltung fernzubleiben? Sharleen brauchte sich nicht zu verstecken. Doch bei Jahne lagen die Dinge anders. Der einzige Grund, sich zu zeigen, war nur, allen zu demonstrieren, daß sie gut aussah, sich gut fühlte und nichts verbrochen hatte. Wäre Mai dagewesen, hätte die ihr wahrscheinlich den Rücken gestärkt.
Unter den Umständen empfand Jahne alles wie eine zu schwere Last. Das richtige Kleid aussuchen, zum Friseur gehen, Maniküre, Make-up, Parfum, Schmuck... Es strengte Jahne an, nur darüber nachzudenken. Sie stellte sich vor, wie die Kameras auf sie gerichtet wurden, wie dreißig oder vierzig Millionen Menschen vor den Bildschirmen in Nahaufnahme ihr Gesicht musterten und nach verräterischen Narben suchten, nachdem ein Moderator die ganzen Klatschgeschichten vor Beginn der Sendung noch einmal aufgewärmt hatte. Anschließend, nach Bekanntgabe der Gewinner, richteten sich die Kameras auf die Verlierer, um deren Reaktion — Enttäuschung, Wut, Überraschung — einzufangen.
»Nein, das kann ich nicht.« Sie warf sich in ihrem Schlafzimmer entmutigt auf ihr Bett.
Eine Stunde später klingelte das Telefon. Sie meldete sich nur mit einem zögernden »Hallo.«
»Jahne, Gott sei Dank! Hier ist Brewster.«
»Brewster? Ach Gott, Brewster, wie schön, Ihre Stimme zu hören!« Plötzlich wurde ihr ganz warm. »Brewster!« wiederholte sie leise.
»Geht es Ihnen nicht gut, Jahne?« Im Telefon knackte es. Offenbar rief er von weither an. Irgendwo aus Südamerika. Wie lieb von ihm, an sie zu denken!
»Ich schäme mich so, Brewster, und irgendwie habe ich den Eindruck, ich sei an der Endstation angekommen.«
»Endstation? Welcher, Jahne? Ich kann Sie kaum verstehen?«
»Ich spreche von der Endstation des Lebens. Ach Brewster, mir ist hundeelend zumute. Nichts ist so geworden, wie ich es mir ausgemalt habe. Ich erhielt eine zweite Chance im Leben und nutzte sie nicht.« Ihre Stimme brach.
»Das ist eine schreckliche Verbindung«, rief Brewster. »Ich verstehe immer nur Wortfetzen.«
»Brewster, schämen Sie sich, daß Sie mich kennen? Dieser schreckliche Film und nun dieser Skandal! Macht man Sie in der Praxis auch verrückt? Habe ich Ihr Leben zerstört?«
»Es fragte sich eher, ob ich Ihres zerstört habe. Jahne, wie geht es Ihnen? Sie scheinen so weit weg zu sein.«
»Mögen Sie mich noch, Brewster?«
»Natürlich, Jahne, ich... «
Jahne schüttelte das Telefon. Doch die Leitung war tot. Da schluchzte sie leise, hoffnungslos vor sich hin. Nun war auch Brewster fort.
Der Sicherheitsdienst meldete sich von der Pforte. Sie hob ab. »Erwarten Sie einen Brewster Moore?«
Jahne schluckte. »Ja«, murmelte sie nur.
Kurz darauf klingelte es an ihrer Tür. Wie durch einen dichten Nebel lief Jahne zur Tür, riß sie auf und stand vor Brewster Moore. Er hielt einen Koffer in der linken Hand und einen Regenmantel über dem rechten Arm.
»Sind Sie denn nicht in Honduras?« fragte sie.
Er trat ein. »Sind Sie denn nicht in Schwierigkeiten?« Er setzte alles ab, und sie lagen sich in den Armen.
Brewster sorgte dafür, daß Jahne etwas aß,
sich das Haar wusch und suchte mit ihr ein Kleid aus. Es gelang ihr
schließlich, sich wieder in den Griff zu bekommen. Und dann saßen
sie nebeneinander in der Limousine. Unter den Umständen hatte
Brewster Jahne vorgeschlagen, daß sie sich duzten, und Jahne war
ihm dankbar für dieses Freundschaftsangebot. »Ohne dich würde ich
das heute abend nicht durchstehen«, gestand sie ihm. »Danke, daß du
den weiten Weg gemacht hast, um mich zu der Verleihung und der
Party zu begleiten.«
»Ich wollte mir das nicht entgehen lassen. Du kannst das nicht wissen, aber es gibt sehr viele Menschen, Männer wie Frauen, die äußerst nervös werden, wenn sie mich heute abend sehen. Seit mein Name mit deinem in Verbindung gebracht wurde, habe ich mehr Anrufe erhalten, als du dir vorstellen kannst. Alle haben Angst.«
»Wieso denn das?«
»Glaubst du denn, du seist meine einzige berühmte Patientin? Natürlich warst du damals noch kein gefeierter Star. Doch seit Jahren korrigiere ich die Fehler, die andere Chirurgen an sehr reichen, sehr berühmten Leuten begangen haben. Es wäre unethisch gewesen, wenn ich dir damals, als du zu mir kamst, Namen genannt hätte. Unethisch wäre es auch jetzt noch. Doch alle werden fürchten, daß ich nur hier bin, um wegen eines Buchs oder mit dem Fernsehen oder sonst einem Medium zu verhandeln und mit meinem Wissen an die Öffentlichkeit zu gehen. Angesichts dessen, was diese Schweine dir angetan haben, reizt es mich auch sehr, genau das zu tun. Allein in den letzten achtundvierzig Stunden bin ich von Laura Richie und nahezu allen Verlegern der englischsprechenden Welt angerufen worden. Alle baten mich, mehr zu erzählen. Sie haben mir unanständige Geldsummen geboten. Äußerst verführerisch für mich, weil sie vielen Kindern wie Raoul nützen könnten. Zu dir werden die auch noch kommen. Also wundere dich nicht darüber.«
»Ha! Ich werde mein ganzes Leben lang mit keinem blutsaugenden Reporter mehr sprechen und wünschte nur, ich könnte davonlaufen und irgendwo neu anfangen.« Sie lachte. »Das hast du sicher schon einmal gehört.«
»Ja, aber es ist auch gar nicht so abwegig. Vielleicht solltest du wirklich wieder nach New York gehen.« Er griff nach ihrer Hand. Seine war klein und warm und tröstlich.
»Wozu sollte ich nach New York gehen? Wieder auf die Bühne? Da kann ich nur lachen. Die Leute kämen doch bloß, um mich in irgendeinem Broadwaystück anzugaffen. Da bin ich noch besser im Zirkus aufgehoben. Nein! Die New Yorker Bühne ist für mich gestorben. Über meine kaputte Karriere werde ich mir später Gedanken machen, wenn ich Zeit dazu habe. Jetzt will ich jeden Moment auskosten, den du hier bist.« Jahne mühte sich zu lächeln. »Zuallererst muß ich mich wohl den schönen Mörderhaien stellen.«
Brewster lachte. »Einige davon waren sehr häßliche Mörderhaie, bevor sie zu mir kamen. Findest du nicht, daß du dich schon allein dadurch auszeichnest, daß du dich offen mit deinem Arzt sehen läßt? Damit bekennst du dich zu allem. «
Das mußte Jahne zugeben. »Nur bei den anderen weiß es niemand, während man mein Alter kennt, wieviel ich vorher gewogen habe und wie ich aussah. Die Mädchen, mit denen ich die Schule besucht habe, sind befragt worden, und meine Affären mit Pete und Michael McLain wurden ausgegraben. Das alles ist entsetzlich entwürdigend.«
»Ich bin kein Psychiater. Doch ich kenne mich mit den menschlichen Verhaltensweisen aus. Wenn sie dich heute abend sehen, werden sie dich wie Prinzessin Diana behandeln, und zwar vor ihren Skandalen. Vergiß nicht, daß ich Einzelheiten aus dem Leben vieler Berühmtheiten kenne, gegen die dein kleines Problem nur Stecknadelkopfgröße hat. Und wenn es zu schlimm für dich wird, und du dem allen entkommen willst, bin ich gern bereit, dir einige Bilder zu zeigen, die ich aus New York mitgebracht habe. Das mag nicht ganz der beruflichen Ethik entsprechen, aber ich hasse Heuchler.«
Lila streckte sich auf dem Seidenlaken. Dann nahm sie die Schlafbrille ab. Sie zuckte zusammen, als das grelle Nachmittagslicht auf ihre Augen traf. Das war der Nachteil eines Hauses in Malibu: die gnadenlose Sonne aus dem Westen. Auch bei zugezogenen Vorhängen war sie noch zu grell. Lila klingelte nach dem Mädchen um frischen Apfelsinensaft. Weitere Hilfe brauchte sie nicht. Wie immer kümmerte Lila sich selbst um ihre Toilette.
Jetzt war die begehrte Auszeichnung für Lila in greifbare Nähe gerückt. Sie fühlte ihr Gewicht schon in der Hand.
Die Risiken, zweifellos vorhanden, lohnten den Einsatz. Lila hatte Marty schon gesagt, daß sie auf einem eigenen Zimmer, einem eigenen Bett und einem gewissen Freiraum bestehen würde. Solange ihre Mätzchen ihn befriedigten, brauchte er sich schließlich nicht zu beklagen.
Das Telefon klingelte.
»Lila, meine Liebe, wie schön, daß ich Sie erreiche! Hier spricht Laura Richie. Hoffentlich störe ich nicht. Ich wollte nur die erste sein, die Ihnen zum Emmy gratuliert. Niemand verdient die Auszeichnung mehr als Sie.«
»Danke, Laura. Das werde ich Ihnen nicht vergessen. Sie gratulieren mir für etwas, das ich noch gar nicht habe. Damit beweisen Sie echtes Vertrauen. «
Ich lachte. »Unsinn, wozu gibt es Freunde? Die Sache ist ja bombensicher. Das wissen alle. Tatsächlich hatte ich schon den Artikel für meine morgige Kolumne vorbereitet. Manchmal ist so etwas riskant, weil man bei einer Lüge oder einem vorzeitig verratenen Geheimnis ertappt werden kann. Doch es ist gleichzeitig notwendig, wenn man, wie ich, an drei Orten zugleich sein muß.«
»Laura, Sie müssen mich entschuldigen. Ich hab es eilig. Unten erwarten mich die Fotografen und die Leute vom Sender. Das Haus quillt über. Aber ich plaudere nichts aus. Das hebe ich alles für Sie auf. Sie sind immerhin meine älteste und liebste Freundin in Hollywood.«
Lila konnte den Honig verteilen wie ihre Mutter.
Das war das letzte mal, daß ich mit Lila Kyle sprach.